Gift für die Seele

„Sich selbst zu lieben ist der Beginn einer lebenslangen Romanze“ (Oscar Wilde)

Heute möchte ich euch von Sabine erzählen.  (Name natürlich geändert) Ihre Geschichte handelt vom Erleben und Begreifen des Narzissmus. Ich weiß noch genau, wie sie vor mir saß und weinte. Viele Taschentücher verbrauchten wir. Sie erzählte von einer Lebensgeschichte mit Problemen und einem Leidensweg von Kindheit an. Es kam mir vor, als säße da ein kleines Mädchen, damals Mitte 40, dass noch nicht erwachsen war. Große wunderschöne Augen und so ein liebes Lächeln, wenn sie denn nur lächeln könnte. Das ist ihr vergangen.
Als sie mir aus ihrer Kindheit und Jugend erzählte, spürte ich die drückende beengende Atmosphäre von tiefer Dunkelheit und Missmut.
Immer wieder versuchte ich sie auf die Meta-Ebene zu holen. Es war schwierig.
Geringer, bis gar kein Selbstwert, ständige quälende Selbstzweifel und das verzweifelte Gefühl, irgendetwas stimme nicht mit ihr.
Wir begaben uns auf einen Weg der Therapie, der schonungslos nach Aufklärung und Be- und Verarbeitung schrie.
Immer wieder begegnete uns in den tiefen Gesprächen, den bitteren Tränen, eine dominante Person, die unsere ganze Aufmerksamkeit forderte. Sabine erzählte von einer Mutter, die teils grausam, pedantisch, grenzüberschreitend aber vor allem unemphatisch ihre eigenen Interessen verfolgte.
Sie könne sich nicht erinnern, von ihrer Mutter jemals in den Arm genommen worden zu sein, getröstet oder Mitgefühl bekommen zu haben.
Während sie mir über viele Therapiesitzungen von ihrer Mutter erzählte, verfiel sie jedes Mal in eine nach vorn gebückter Körperhaltung, bei der es ihr schwerfiel, normal zu atmen und die Hände im Schoß fest ineinander presste. Manchmal kullerten Tränen über die Wangen und manchmal viel sie in eine verzweifelte Erstarrung.
Ich versuchte stets sie aus der Erstarrung sofort herauszuholen, da diese für das Gehirn hoch toxisch ist, und ihr mit einer sanften freundlichen nicht wertenden Energie zuzuhören. Den ersten Schritt der Lösung fanden wir in der Erkenntnis, dass Sabine eine machtvolle waschechte Narzisstin zur Mutter hatte.
Das ist jetzt schon ein paar Jahre her.

Was passiert mit uns, wenn die Mutter keine Zuneigung, kein Mitgefühl und auch keine Liebe zeigen kann?
Wenn die Mutter unfähig ist, warum auch immer, ihrem Kind das zu geben was es braucht und was alle Kinder brauchen nämlich Liebe, Wärme, Geborgenheit und Schutz, läuft es Gefahr an Schuldgefühlen und mangelndem Selbstwert zu leiden.
Eine Ich-Identität gewinnt der Mensch durch die Verinnerlichung im sozialen Prozess mit anderen. Ist dieser gestört, resultieren daraus verschiedene Problemstellungen, zum Beispiel Täterintrojekte.
Das heißt, wir führen das fort, was man uns angetan hat, mangelnden Selbstwert, körperliche Symptome, angefangen von muskulären Verspannungen, falschen Atem- und Bewegungsmustern, sowie einer zurückhaltenden mangelnden Kommunikation.
Wenn es sich dabei, wie im Fall von Sabine, um eine narzisstische Mutter handelt, begegnet uns zusätzlich ein Konkurrenzkampf der keine Grenzen kennt.

Sabine erzählt: „Das Schlimmste war, dass meine Mutter einfach nie verstanden hat, wie es mir geht. Als ich ein jugendliches Mädchen war, kam sie ständig in mein Zimmer um zu kontrollieren was ich gerade mache. Sie durchsuchte meine Taschen mit Kommentaren wie, ‚ich solle doch mal Ordnung in mein Leben bringen‘ oder entsorgte liebgewonnene Kleidungsstücke, die sie für unangemessen hielt. Und es ging immer um ihr hübsches gepflegtes Erscheinungsbild. Sie gab größere Mengen Geld aus für Kosmetik und Mode und wenn das Geld nicht reichte, begab sie sich auf Diebestour, manchmal mit mir im Schlepptau. Ich weiß noch genau, wie wir einmal dem Kaufhausdetektiv entkommen sind.
Bei jeder Begegnung checkte ich sie! Immer mit einer prüfenden, genau wahrnehmenden Haltung: „Achtung, wie ist sie gerade drauf“!? Als meine schulischen Leistungen nicht das waren, was sie sich vorstellte erklärte sie mir: ‚Wenn du mich liebhast, dann schreib gute Noten!‘ Meine Mutter war Meisterin bestimmte Sachverhalte zu verdrehen, falsch oder genauer gesagt, mich falsch dastehen zu lassen.
Besonders schlimm war auch, wenn sie ein Lieblingskind hatte. Dieses wurde dann von ihrem Charme geschickt manövriert. ‚du willst doch auch nicht, dass ich dich nicht mehr liebhabe, also machst du das jetzt so!‘  Das schwankte je nach Stimmung und äußeren Umständen, die wir als Kinder aber nicht erkennen konnten. Zwischen uns Geschwistern war immer klar, wer gerade das ‚Geliebte Kind‘ war und wer das ihren Schikanen ausgelieferte Opfer. Wenn wir sie darauf ansprachen, waren wir die Schuldigen, dass meine Kinder immer eifersüchtig aufeinander sind? Könnt ihr nicht mal zufrieden sein?‘ Nicht zu Letzt gabs regelmäßig Ohrfeigen für Kleinigkeiten, wie etwas fallen lassen oder schlechte Noten.  Wie oft lag ich allein in meinem Bett, in meinem Zimmer und weinte. Den Kopf tief vergraben in den Polstern fühlte ich mich als die totale Versagerin.“

Was ist Narzissmus?
Im Folgenden möglichst kurz erklärt: (männlich und weiblich gleich gemeint, wenn ich vom Narzissten spreche)
Es handelt sich schlicht um eine Persönlichkeitsstörung. Und jede Persönlichkeitsstörung ist eine Beziehungsstörung.
Menschen leben in einer übertriebenen Weise eine Selbst- bzw. Eigenliebe aus, die es ihnen unmöglich macht, sich für andere zu interessieren.
Dabei kommt es unter Umständen zu einer fatalen Selbstüberschätzung und Anspruchs-haltung. Es ist nie etwas genug!
Hinzu kommt eine Art Gier nach Bewunderung. Bei Kritik an der eigenen Person können sie gefühlt in ein bodenloses schlammiges Loch fallen.
Wir erleben im Kontakt mit Menschen einer narzisstischen Persönlichkeit ein Ungleichgewicht zwischen Egoismus und Altruismus, zwischen Rücksichtslosigkeit und übertriebener Idealisierung. Im Vordergrund immer die eigene Person.
Wichtig zu wissen, wir alle tragen eine Art Narzissmus in uns.
Sich selber in einem gewissen Maße in einem positiven Licht sehen zu können, sich selber gut bewerten zu können und eigene Bedürfnisse zu spüren und zu wahren, nennen wir gesunden Narzissmus.
Er führt zu einer harmonischen Ausstrahlung und Ausgeglichenheit, sowie in sich selbst ruhen zu können.
Narzissmus, der hier gemeint ist, ist krank. Ein tiefer Mangel an Selbstliebe, Selbstvertrauen, Selbstwirksamkeit, Selbstwert, also dem SELBST an sich, prägen den Leidensweg einer emotionalen Isolierung und seelischem Schmerz, letztendlich einer ANGST.  Einer Angst, nicht beachtet zu werden und mehr noch, bedeutungslos zu sein. Daher ist er nicht fähig, sich auf andere Menschen einzulassen und muss die Kontrolle behalten. Manipulation und Abwertung der Opfer dienen dem Narzissten zum Selbstschutz, um die eigenen Ziele zu erreichen oder um sich schlichtweg besser zu fühlen. Entsprechend sind Narzissten Meister im Übertreiben von Sachverhalten oder falschen Darstellungen. Überall Katastrophen witternd macht er aus einer Mücke einen Elefanten. Unbedenkliches wird akribisch hinterfragt und hinter einer noch so bedeutungslosen Bemerkung vermutet der Narzisst eine böse Absicht. Dies wird oft auch für das Umfeld problematisch. Denn mit der Zeit übernehmen diese Wahnvorstellungen die Kontrolle über den Narzissten. Diese Vereinnahmung wird vor allem immer dann intensiver und kritischer, wenn der Narzisst in seinen skurrilen Theorien auch noch bestätigt wird. Mit einer außerordentlichen Gründlichkeit inspiziert er die verdächtigen Situationen und die nahenden Gefahren. Entsprechend findet er auch genügend Gründe für das übertriebene Misstrauen und die eigenen Hirngespinste. Für ihn ist und bleibt seine Sichtweise die Wahrheit. Dieses Wahnsystem erschafft eine eigene Welt, in der alles präzise und logisch aufeinander abgestimmt ist. Deshalb kann die gestörte Wahrnehmung von Außenstehenden oftmals nicht direkt erkannt werden.
Denn selbst für mögliche Zweifel hat der Narzisst immer die passende Erklärung parat. Es folgen schlüssige und überzeugende Argumente, gepaart mit einer Begeisterung in Bezug auf die eigenen Ideen und Vorstellungen. So wickelt der Narzisst selbst den schärfsten Kritiker ein, wie eine Spinne ihre Beute.
Narzissten sind Meister der Manipulation. Menschen, die einen näheren Umgang mit ihnen pflegen, glauben oft, sich selber geirrt zu haben, ihren Gefühlen nicht glauben zu können oder etwas übersehen zu haben.
Tipp: Was machst du, wenn du einem Narzissten begegnest?
Lauf, so schnell und so weit wie es dir möglich ist!

Zurück zu Sabine.
Als wir also in der Lebensgeschichte die Ursachen herausfanden, lernte Sabine sich davon zu verabschieden. Ein schwerer und langer Weg.
Die Angst vor dem Alleinsein war anfangs unser größter Gegner. Die „Innere Leere“ und eine Sehnsucht nach Geborgenheit und Wärme waren so stark, dass Sabine Zuflucht in irgendwelchen Beziehungen suchte. Diese scheiterten.
Wir reflektierten Muster in ihrem Verhalten und erlebte bekannte Gefühle.
Wir externalisierten Innere Anteile. Da waren das Innere Kind, destruktive Stimmen, ein gefährlicher schwarzer Drache, Selbstsabotage und der Hang zu religiösen spirituellen Richtungen.
Sie malte riesige Bilder von ihrer Mutter und sich, von den Inneren Anteilen, z.B. dem gefährlichen Drachen und ihrem Lebensweg.
Bilder vom Kinderland und von einem schlagenden Schmerz, der ihr im Nacken saß. Phänomene bekamen eine Ausdrucksmöglichkeit.
Die Zeit die es brauchte waren einige Jahre. Und langsam kam Freude und Fortschritt in Form von neuem Verhalten, neuer Kommunikation und einem gesunden Selbstwert in die gemeinsame Therapiezeit und ins Leben.

Sabine lebt heute mit einem netten liebevollen Partner zusammen und ihre eigenen Kinder haben sich prächtig entwickelt.
Wir arbeiten noch immer.
Zwar lockerer und in größeren Abständen.
Ich spüre eine große Freude und Dankbarkeit sie zu begleiten.
***
Vielleicht findest du dich in dem einen oder anderem Aspekt wieder und möchtest darüber reden.
Wir finden einen Weg.
Ich glaube fest daran, dass wir alle auf einem guten Weg sind in Richtung der Freude, der Liebe, der Dankbarkeit, des Segens und der Akzeptanz.

Wenn du möchtest, hier wieder ein paar Fragen für dich als Anreiz nach Innen zu gehen: Fühl dich frei, ehrlich dir Selbst gegenüber zu antworten.

  • Wenn ich als Kind traurig war …?
  • Wenn ich als Kind Angst hatte, dann…
  • Wenn ich Gefühle habe, die ich nicht mag oder glaube nicht auszuhalten, dann…?
  • Wenn ich nicht weine…?
  • Wenn ich wirklich fühle …?