„Angst bestimmt mein Leben“ – so begann Rosis Weg in die Therapie. Heute steht sie selbstbewusst als Skilehrerin am Gipfel. Eine Geschichte über Heilung, neue Perspektiven und den Mut, sich selbst neu zu begegnen.“
Als Rosi das erste Mal meine Praxis betrat, war sie fahrig, blass, ständig auf der Hut. Ihre Bewegungen wirkten gehetzt, als wäre sie vor sich selbst auf der Flucht. Noch bevor sie sich gesetzt hatte, platzte es aus ihr heraus:
„Ich hab ständig Angst. Ich kann nicht mehr. Was denken denn die anderen? Ich funktioniere nur noch.“
Was sie beschrieb, war eine tiefgreifende, alles durchdringende Unruhe. Eine Angst, die keinen klaren Auslöser brauchte, sondern sich wie ein grauer Schleier über ihren Alltag legte. Herzrasen. Schweißausbrüche. Atemnot. Und vor allem: das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren – und damit sich selbst.
Rosi lehnte Medikamente ab – aus Angst, wie sie sagte. Es war ein paradoxer Schutzmechanismus: „Ich will nichts nehmen, sonst verliere ich mich noch mehr.“ Was sie stattdessen suchte, war ein Weg durch die Angst hindurch, nicht daran vorbei. Ein steiniger Pfad, ohne Abkürzungen.
Sie sprach oft vom „Graben“, in dem sie sich befand – tief, dunkel, einsam. Doch was damals ausweglos wirkte, wurde zum Anfang einer bemerkenswerten Reise. In den folgenden zwei Jahren durfte ich Rosi auf diesem Weg begleiten.
Durch unsere Gespräche begann sie, ihre Geschichte nicht nur zu erzählen, sondern auch zu verstehen. Was vorher ein diffuses Leiden war, bekam Struktur. Ihr inneres Narrativ – einst festgefahren – wurde durchleuchtet, hinterfragt, umgeschrieben. Wir arbeiteten mit Reparenting, mit Aufstellungen, mit heilenden Sätzen, die sie selbst fand – manchmal flüsternd, manchmal laut und trotzig.
Ein zentrales Thema war ihre Rolle in der Familie. Besonders gegenüber ihrer Mutter fühlte sie sich verantwortlich – gefangen in einer Dynamik aus Pflicht und Schuld. Doch irgendwann sagte sie:
„Ich bin nicht ihre Lösung. Und auch nicht ihr Fehler.“
Ein Satz, so kraftvoll, dass ich heute noch Gänsehaut bekomme, wenn ich daran denke.
Je klarer sie innerlich wurde, desto mehr wagte sie sich nach außen. Sie suchte neue Erfahrungen – in der Natur, in der Bewegung, in der Gemeinschaft. Und irgendwann, mit leuchtenden Augen, erzählte sie mir:
„Ich hab mich bei einem Skilehrerkurs angemeldet.“
Rosi, die einst kaum Luft bekam, stand plötzlich mit Skiern auf einem Gipfel, über den die Sonne lachte. Dort, in der Weite der Berge, fand sie nicht nur ihre Kindheitsliebe zur Natur wieder, sondern auch sich selbst. Sie wurde Teil einer Gemeinschaft, fand Anschluss, Stärke und Freude. Heute bringt sie anderen das Skifahren bei – mit einer Selbstverständlichkeit, die man ihr früher nie zugetraut hätte.
Hat sie noch Angst? Natürlich. Aber sie hat gelernt, damit umzugehen.
„Ich sag mir dann: Stopp. Jetzt bestimme ich. Ich fokussiere mich auf das, was ich will.“
Gedankendisziplin, nennt sie das. Und genau das ist es auch.
Warum ich euch diese Geschichte erzähle?
Weil Rosi ein wunderbares Beispiel dafür ist, was in einer Therapie möglich ist – wenn wir die richtigen inneren Wege betreten. Heilung ist kein Wunder, sondern ein Prozess. Ein Weg über vier Dimensionen:
- Bewusstheit – zu erkennen, was in uns lebt.
- Differenzierung – zu fühlen, was uns gehört und was nicht.
- Handlungsfähigkeit – neue Entscheidungen zu treffen.
- Solidaritätserfahrungen – sich verbunden zu fühlen mit anderen und sich selbst.
Diese vier Wege führen uns – Schritt für Schritt – vom Schatten ins Licht.
Danke Rosi für dein Sein